Wenn Ihr Kreuz schmerzt
Verlag: Das Beste - Reader´s Digest
Vergessen Sie die alten Geschichten über Rückenprobleme und wie man damit umgeht. Hier lesen Sie die neuesten – und oft überraschenden – Empfehlungen.
Noch hatte ich nicht richtig mit dem Aufwärmtraining begonnen und mich gerade gebückt, um ein Übungsbrett vom Boden aufzuheben, als ich plötzlich einen stechenden Schmerz im Kreuz verspürte. Die Beine wurden mir weich, und ich sank mit einem Aufschrei zu Boden. Solche Schmerzen hatte ich mit meinen 22 Jahren noch nie erlebt. Der Arzt im Krankenhaus empfahl mir Bettruhe, muskelentspannende Mittel und Schonung. Diesen Rat sollte ich in den nächsten 15 Jahren noch oft zu hören bekomme.
Rund 20 Millionen Deutsche und Österreicher klagen über Rückenschmerzen. Nach den Erkältungskrankheiten kommen sie in Deutschland am häufigsten vor; bei den Ursachen für Arbeitsunfälle stehen sie sogar an erster Stelle. Nach Erhebungen der Krankenkassen, die auch “Rückenschulen” anbieten, gehen im Durchschnitt pro Erkranktem über 20 Arbeitstage jährlich wegen Hexenschuß verloren. Darüber hinaus enthält jeder zweite vorzeitig gestellte Rentenantrag als Begründung die Erkrankung der Wirbelsäule. Seit Generationen sind die Ratschläge, die Mediziner bei Schmerzen im Lendenwirbelbereich erteilen, nicht unbedingt das Wahre. Veraltete Therapiemethoden verlängern allzuoft nur das Leiden oder verschlimmern es sogar. Jetzt aber kommt gute – und überraschende - Kunde. Statt der gängigen Methoden sollten Sie es einmal mit den folgenden Empfehlungen versuchen, die die amerikanische Gesundheitsbehörden herausgegeben haben.
Früher: Sofort zu Arzt gehen - Heute: Zeit lassen
Bis zu 90 Prozent aller Rückenschmerzen klingen unabhängig von der Art der Behandlung innerhalb sechs Wochen so weit ab, daß der Betroffene wieder zur Arbeit gehen kann, sagt der Rückenforscher Dr. Gordon Waddell vom Scotland-Western-Krankenhaus in Glasgow. Mit anderen Worten: Verspannungen und Überdehnungen der Rückenmuskulatur verschwinden gewöhnlich nach ein paar Tagen und heilen auf natürliche Weise von selbst, wenn man aktiv bleibt.
Die beste Erstbehandlung ist ganz einfach: sich ins Bett legen, wenn es denn sein muß, aber höchstens für zwei, drei Tage; Acetylsalicylsäure ( ASS) oder ein anderes rezeptfreies Schmerzmittel schlucken und so bald wie möglich seine normale Tätigkeit wiederaufnehmen, wozu auch vorsichtige sportliche Übungen gehören. Während der ersten 48 Stunden können Sie mehrmals je fünf bis zehn Minuten lang einen Eisbeutel auflegen. Danach kann ein Wärmekissen, eine heiße Dusche oder ein warmes Bad vorübergehende Linderung bringen. Nehmen Sie sich für die Selbstbehandlung ein oder zwei Tage Zeit, bevor Sie einen Arzt hinzuziehen.
Natürlich brauchen Sie sofort ärztliche Hilfe, wenn Sie sich etwa durch einen Sturz von einer Leiter eine Rückenverletzung zugezogen haben oder wenn sich zu den Schmerzen noch Fieber einstellt. Sind Ihre Beine kraft- oder gefühllos oder können Sie Blase oder Darm nicht mehr unter Kontrolle halten, so liegt vielleicht ebenfalls ein neurologisches Problem vor, das rascher Behandlung bedarf. Mitunter haben Rückenschmerzen aber auch gar keine körperliche Ursache.” Wenn Sie unter seelischem Streß stehen”, sagt Dr. Willibald Nagler, Chefarzt der Psychiatrie an der Cornell-Klinik im Staat New York, “ schickt der Körper andie Muskeln den Befehl, sich fest zusammenzuziehen – das ist seine Art, sich zu wehren”. Solche Verspannungen können zu Rückenschmerzen führen. Überlegen Sie, wie Sie den Streß abbauen könnten.
Früher: Im Bett bleiben - Heute: Schnell wieder aufstehen
Als ich vor 25 Jahren zum erstenmal ein Rückenproblem hatte, bin ich zwar tagsüber zur Arbeit gegangen, habe mich dann aber sechs Wochen lang jeden Abend früh ins Bett gelegt – und dadurch meine Schmerzen auf drei lange Jahre ausgedehnt. Mein Arzt wußte einfach nicht, daß Bewegungsmangel den Heilungsprozeß verlangsamt. Ein bis zwei Tage Ruhe mögen guttun, aber “ eine Woche Bettruhe kann Sie einen Monat zurückwerfen”, warnt die Physiotherapeutin Sheila Reid, die am Spine-Institut in Neuengland arbeitet.
Bewegung tut gut
“Regelmäßige gymnastische Übungen geben Ihrer Wirbelsäule eine dauerhafte, kräftige Muskelhülle”, sagt Dr. Volker Sonntag, stellvertretender Vorsitzender der Abteilung Neurochirurgie am Barrow-Institut in Phoenix. “ So kann Ihr Rücken plötzlichen Bewegungen oder ungeschicktem Bücken und Heben besser standhalten”, erklärt er.
Als Clifford Gutterman die Schmerzmittel absetzte, überwies ihn sein Arzt an einen Physiotherapeuten, der ihm ein tägliches Gymnastikprogramm zur Stärkung der Muskulatur verordnete. Rasch erkannte Guttermann, daß seine bisherige schlechte Kondition die ständigen Rückenbeschwerden mitverursacht hatte. “ Wenn ich jetzt müde werde und meine Übungen nicht gemacht habe, tut mir der Rücken weh”, sagt er. “Offensichtlich geht das eine mit dem anderen Hand in Hand”.
Wie aus den vom Dr. Deyo analysierten Daten hervorgeht, haben viele Menschen, die keinen Sport treiben, spätestens drei Jahre nach dem ersten Auftreten ihrer Rückenschmerzen den ersten Rückfall. Um das nach Möglichkeit zu vermeiden, sollten Sie sich täglich gymnastische Übungen zur Gewohnheit machen.
Früher: Nur nicht zum Chiropraktiker gehen - Heute : Er kann Ihnen sehr wohl helfen
Viele Ärzte betrachten die Chiropraktik skeptisch, andere befürworten sie, wenn auch nicht immer mit Begeisterung .”Chiropraktiker können helfen”, sagt der Neurochirurg Sonntag. In einer 1992 durchgeführt Studie der gemeinnützigen Forschungsorganisation RAND überprüften medizinische Experten zahlreich veröffentlichte Berichte über Rückenwirbeleinrenkungen, eine gemeinhin von Chiropraktiker angebotene Therapie. Die in den Annals of Internal Medicine veröffentlichte Schlußfolgerung der RAND-Forscher: Wirbeleinrenkungen können akute, unkomplizierte Schmerzen im Lendenwirbelbereich lindern helfen. “Die vorliegenden Daten erlauben die Feststellung , daß Wirbeleinrenkungen mehr bewirken als viele bislang angewandte medizinische Therapien” .sagt Dr. Paul G.Shekelle, der Hauptautor der Studie.
Allerdings ist die Chiropraktik nach wie vor umstritten- nicht zuletzt aufgrund großer Uneinigkeit im Lager der Chiropraktiker selbst. Viele konzentrieren sich darauf, durch das Einrenken von Gelenken und das Einrenken von Gelenken und weichem Gewebe gegen die Rückenschmerzen anzugehen. Einige glauben jedoch, durch Manipulationen am Rückgrat auch noch eine Vielzahl anderer Krankheiten bis hin zu Bluthochdruck, Heuschnupfen und Impotenz heilen zu können. Konservative Chiropraktiker distanzieren sich von solchen unbelegten Behauptungen.
Um einen kompetenten Chiropraktiker zu finden, sollten Sie Ihren Arzt um Empfehlungen bitten oder Bekannte befragen, die sich ihre Rückenprobleme schon mit Erfolg haben behandeln lassen. "Wenn spätestens vier Wochen nach dem Einrenken noch keine Besserung eingetreten ist, sollten Sie wieder zu Ihrem Hausarzt gehen" rät die Kommission für Gesundheitspolitik und -forschung der amerikanischen Gesundheitsbehörden.
Rückenschmerzen müssen keineswegs Ihr Leben ruinieren. Die meisten Rückenprobleme kommen nicht über Nacht: Die auslösende Ursache hat sich meist über Monate oder Jahre entwickelt. Was können Sie also tun, um eine Überbeanspruchung oder Verletzung Ihres Rückens zu vermeiden? Spezialisten raten Ihnen folgendes:
- Nicht rauchen. Wie eine amerikanische Fachzeitschrift berichtet hat, haben Wissenschaftler bei der Begutachtung von über 1200 Patienten an der Universitätsklinik von Vermont festgestellt, daß Personen mit heftigen Rückenschmerzen oft auch starke Raucher sind. Rauchen kann die Blutversorgung der Bandscheiben beeinträchtigen und sie vorzeitig degenerieren lassen.
- Richtig heben. Je weiter Sie einen Gegenstand, den Sie heben wollen, vom Körper weghalten, desto größer ist die Gefahr eines Bandscheibenschadens. Wenn Sie zum Beispiel ein 25 Kilogramm schweres Paket mit ausgestreckten Armen hochheben, belastet das Ihren Rücken mit 300 Kilogramm. Geben Sie also in die Knie, und halten Sie den Gegenstand beim Heben dicht am Körper.
- Nicht zu lange sitzen. Stehen Sie zwischendurch manchmal zum Beispiel beim Telefonieren. Wenn Sie lange Strecken mit dem Auto fahren, legen Sie regelmäßig Pausen ein, um sich die Füße zu vertreten. Gehen Sie im Flugzeug öfter einmal im Gang auf und ab.
- Rückenfreundlichen Stuhl besorgen. Er sollte Armlehnen, eine rutschfeste Sitzfläche und eine Rückenlehne haben. Außerdem sollte er sich in der Höhe verstellen lassen, so daß die Knie sich immer etwas oberhalb der Hüfte befinden.
- Abnehmen. Wenn Sie vorn zuviel Gewicht mit sich herumschleppen, ist Ihr Körper im Ungleichgewicht, und der Rücken hat darunter zu leiden. Gewichtsabnahme und Fitneßübungen können abhelfen.
- Viel wandern, radfahren und schwimmen. Sie brauchen kein kompliziertes Training, um sich etwas Gutes zu tun. Machen Sie zum Beispiel in der Mittagspause einen Spaziergang, unternehmen Sie Touren mit einem geeigneten Fahrrad, gehen Sie mit Ihren Kindern schwimmen, wobei Rückenschwimmen besonders empfehlenswert ist. Das alles fördert die Ausdauer und stärkt die Rückenmuskulatur, ohne sie zu strapazieren.
- Warten Sie nicht, bis sich Schmerzen einstellen: Tun Sie am besten gleich etwas Gutes für ihren Rücken, indem Sie sich bewegen und führen Sie Ihr Leben weiter wie gewohnt.